Rebecca Leudesdorff
– über Identifikation in der Malerei Annika van Vugts
Es könnte den Betrachtenden einfacher nicht gemacht werden: finden sie doch den Zugang zur Malerei durch geschultes Sehen und visuelles Gedächtnis des Formalen. Annika van Vugts „Geliebte“ erfüllen zunächst den Wunsch nach einfacher Lesbarkeit: Ölmalerei auf sich ähnelnden Formaten, der Anschnitt der Figuren stets unterhalb ihrer nackten Brust. Sie treten aus einem dunklen, flächigen Hintergrund hervor. Durch die schlichte Einteilung in Vordergrund (der Figur) und Hintergrund (des nicht ersichtlichen Raumes) wird die Figur zum zentralen Motiv. Mitnichten ist jedoch von Mustern der Wiederholung zu sprechen, die den Blick zu schnell sättigen, die Lust des Schauens unterbinden. Die feinen Ausarbeitungen der Figuren van Vugts bieten ein erstaunliches Spektrum von Ausdruck und Körperlichkeit, das fast schon einer analytischen Studie gleichkommt: weibliche Brüste in der Vielfalt ihrer ungeschönten Natürlichkeit – nackt, zart, schwer, groß, klein, hängend, prall, symmetrisch, asymmetrisch. Anzüglichkeit oder Sexualisierung hat keinen Platz, der Blick entspannt sich gegenüber dem überfrachteten sexualisierten Bildkatalog von Medien und Internet. Hinzu fügt sich die Gestik des Körpers: wenngleich fast steif und meist frontal oder nur leicht in sich gedreht, bildet sie stets eine unmittelbare Einheit. Die Blicke der dargestellten Frauen fordern ein genaues Hinsehen ein, die Fülle ihres Ausdrucks konstituiert das lustvolle Schauen: kühle, kecke, entschlossene, zufriedene, selbstbewusste, traurige, ängstliche, weiche, entrückte Blicke. Alle spürbaren Gefühle kulminieren in den Augen der Figuren.
„Eine Seele, die durch die Augen zu sprechen vermag, kann auch mit Blicken küssen.“ (Gustavo Adolfo Becquer). Becquers beschriebener Empfindung entsprechend stellt die junge Malerin Annika van Vugt die Betrachtenden vor ihre Bilder. Sie gibt ihnen die Aufgabe, die Augen sprechen zu lassen und von tiefer Traurigkeit (XX, 2014) bis kesser Aufforderung (I, 2014) in ihre Welt einzutauchen, sich streicheln und küssen zu lassen von der zerbrechlichen Rohheit und Nacktheit ihrer Bilder.Der kunsthistorische Diskurs scheidet an dieser Stelle die Geister: Was von der Künstlerpersönlichkeit vermitteln Werke, bzw. dürfen sie überhaupt vermitteln? Ist es legitim, den Künstler/die Künstlerin in den Arbeiten zu suchen? Der aus der Literaturwissenschaft bekannten These vom ‚Tod des Autors’, wo jede Identität sich verlieren muss[1], steht die Person des Künstlers diametral gegenüber.Taucht man ein in das Namensregister, rattern Bilder im visuellen Gedächtnis vorbei, die in ihrer Fähigkeit zu berühren leicht mit Annika van Vugts Werken in Verbindung zu setzen sind: Maria Lassnigs durchtriebene Nacktheit, Marina Abramovićs unablässige Grenzgänge, Louise Bourgeois’ weiträumige Reflexion ihrer kindlichen Erfahrungen, oder etwa Cindy Shermans Identitätsfindung. Gleichwohl muss klar sein, dass nicht die Künstlerinnen in Vergleich gesetzt werden sollen, sondern ihr jeweiliger Umgang mit dem Sujet des eigenen Ichs, einer Identität, oder viel besser persönlichen Empathie.
Denn setzt man die "Geliebten“ in Bezug zur Malerin van Vugt in persona, kommt man nicht umhin, eine gewisse Ähnlichkeit zwischen ihr und den Figuren zu assoziieren. Durch Transfer ihrer individuellen Umstände auf die Figuren, schafft sie eine legitime Empathie zu ihrer Realität und bleibt in den Bildern auffindbar.
Stehen die Portraits noch in der Tradition ihrer seriellen Eigenschaften und formalen Neutralität, so begibt sich Annika van Vugt mit den lebensgroßen Aktmalereien (XXVI -XXVIII, 2014) auf eine neue körpersprachliche Ebene. Drei Frauen stehen nun auf festem Boden, präsent im Bild mit auffällig veränderten Haltungen: die Hände in die Hüfte stemmend, die Arme hängend oder vor der Brust verschränkt. Gleichsam leiten die Figuren – wie die vorangegangenen Arbeiten – den Betrachtenden über den Blick in den Gemütszustand der Frauen. Das Format scheint mit den Figuren inhaltlich gewachsen und die nun gänzliche Körperlichkeit der Frau lässt eine Erweiterung der Wahrnehmung ihrer selbstbewussten Weiblichkeit zu. Die Akte zeugen von einer Entwicklung in Person und Persönlichkeit, Offenheit und Körperlichkeit: Geschlechtlichkeit wird in Gänze sichtbar, Standhaftigkeit der Figuren erfüllt die vorangegangenen Anschnitte.
Verbindlich bleibt, was verbindlich bleiben soll: die Malerin bleibt präsent und malt ihre Figuren durch tausend Tode hindurch.
[1] Roland Barthes ordnet dem Schreiben den Raum zu, wo das Subjekt verschwindet, ein fotografisches Negativ entsteht; jede Identität ist verloren und dies beginnt mit der Identität desjenigen, der schreibt. Vgl. Roland Barthes: Der Tod des Autors. In: Fotis Jannidis (Hrsg.): Texte zur Theorie der Autorschaft. Stuttgart, 2000. S. 185–193.